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St.Galler Kantonsrat versenkt Ausländerstimmrecht in Gemeinden

«Das ist ein Irrweg»: St.Galler Kantonsrat versenkt Ausländerstimmrecht in den Gemeinden deutlich

Die Unterstützung der St.Galler Regierung hat am Ende wenig genützt: Der St.Galler Kantonsrat lehnt ein kommunales Ausländerstimmrecht mit einer Zweidrittelmehrheit klar ab. Die Bürgerlichen bezeichneten das Vorhaben als «unnötig und kontraproduktiv». Grüne, SP und GLP hingegen warnten, man könne einem Viertel der Bevölkerung die politische Mitwirkung nicht dauerhaft verwehren.Michael Genova08.06.2021, 20.47 UhrHörenMerkenDruckenTeilen

Ob die Regierung den Verstand verloren habe, wollte SVP-Kantonsrat Sascha Schmid gleich zu Beginn der Debatte wissen. Damit machte er klar, wie wenig die SVP-Fraktion von der Einführung des Ausländerstimmrechts auf Gemeindeebene hält, und setzte den Ton für eine emotional geführte Debatte über die Exklusivität eines «kostbaren Guts» namens Stimm- und Wahlrecht. 

SVP bezeichnet Ausländerstimmrecht als «Irrweg»

Der St.Galler Regierungsrat hatte im Vorfeld eine Motion der Grünen mit leichten Anpassungen zur Annahme empfohlen. Über eine Verfassungsänderung hätten die St.Galler Gemeinden die Möglichkeit erhalten, das kommunale Ausländerstimmrecht autonom einzuführen. Das Stimmrechtsalter 16 für kommunale Angelegenheiten lehnte die Regierung hingegen ab.

SVP-Kantonsrat Sascha Schmid.
SVP-Kantonsrat Sascha Schmid.Bild: Benjamin Manser

Sascha Schmid bezeichnete die regierungsrätliche Empfehlung als «Irrweg», die Ausweitung des Stimm- und Wahlrechts sei nicht im Interesse des Kantons. Bereits heute könnten sich gut integrierte Ausländer einbürgern lassen. Die Anforderungen dafür seien klar definiert und zuletzt deutlich gesenkt worden. Schmid sagte:

«Die Integration in eine Gesellschaft erfolgt nicht nur durch das Stimmrecht, sondern durch langjährige Kontakte und durch die Aneignung der Sprache.»

Grüne: «Mehr Demokratie hat noch nie geschadet»

Thomas Schwager, Kantonsrat der Grünen, bezeichnete das Votum seines Vorredners als flegelhaft, «über das ich mich geärgert habe». Es sei nicht im Interesse des Kantons, einem Viertel der Bevölkerung die politische Mitwirkung dauerhaft zu verwehren.

«Mehr Demokratie hat einem Gemeinwesen noch nie geschadet.»

Schwager verwies darauf, dass die Schweiz das Stimm- und Wahlrecht als «kostbares Gut» nicht erfunden habe. Zudem seien die politischen Rechte einem konstanten Wandel unterworfen. So mussten etwa die Frauen jahrzehntelang für ihre Rechte kämpfen. Der Kanton habe ein Interesse, die Bevölkerung möglichst umfassend in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Schwager sagte:

«Mit der Einführung des Ausländerstimmrechts auf Gemeindeebene nehmen wir niemandem etwas weg.»

Die anderen bürgerlichen Parteien gaben sich jedoch unbeeindruckt. «Das hört sich aufs Erste sympathisch an, auch bei klarem Verstand», sagte Christian Lippuner im Namen der FDP-Fraktion. Doch habe er erhebliche Zweifel am Nutzen und an der Zweckmässigkeit des Ausländerstimmrechts. «Lohnt sich der Aufwand für die Lösung eines nicht vorhandenen Problems überhaupt», fragte er rhetorisch. Es sei viel besser, auf das bewährte Mittel der Einbürgerung zu setzen, bei dem «staatliches Grundwissen und Sprachkenntnisse geprüft werden». Auch CVP-Kantonsrat Erich Zoller sprach von einem «Königsweg der Einbürgerung», das Ausländerstimmrecht hingegen sei «unnötig und kontraproduktiv».

In St.Galler Städten sind viele Ausländer ausgeschlossen

Eine ganz andere Sicht auf die Frage der Integration haben die St.Galler Städte. So hatte sich der St.Galler Stadtrat im Vorfeld klar für das Ausländerstimmrecht ausgesprochen, und eine Umfrage dieser Zeitung unter Wiler Stadtparlamentariern ergab eine leichte Mehrheit für das Vorhaben. Das erstaunt angesichts der Bevölkerungsstruktur wenig. So hat die Stadt St.Gallen einen Ausländeranteil von 31,5 Prozent, in Wil liegt er bei 29 Prozent, in Rorschach sogar bei 48,7 Prozent. Im Kanton St.Gallen ist er von 19,6 Prozent im Jahr 2000 auf 24,7 Prozent im Jahr 2020 angestiegen.

Angesichts dieser Entwicklung sei es höchste Zeit, den Gemeinden die Möglichkeit des kommunalen Ausländerstimmrechts zuzugestehen, sagte der St.Galler Stadtrat und SP-Kantonsrat Peter Jans. «In der Stadt St.Gallen ist ein Drittel der Menschen ausgeschlossen: Ist das richtig?», fragte er.

Auch der Rorschacher Stadtrat und SP-Kantonsrat Guido Etterlin verwies auf die 125’000 Ausländerinnen und Ausländer, die heute im Kanton St.Gallen leben.

«Es gelingt uns nur ungenügend, seit Generationen hier lebende Menschen formell zu vollständig Gleichberechtigten zu machen».

Dafür verantwortlich sei auch das geltende Einbürgerungsrecht, das nach zahlreichen Verschärfungen für viele Ausländer eine grosse Hürde darstelle. Mit dem Ausländerstimmrecht könne das Interesse und die Freude am Gemeinwesen gestärkt werden.

Keine Mehrheit für moderate Lösung

Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage verwiesen Befürworter von Grünen, SP und GLP darauf, dass es lediglich darum gehe, die Grundlage für das Ausländerstimmrecht zu schaffen. «Wir wollen der Bevölkerung in den Gemeinden die Möglichkeit geben, souverän darüber zu diskutieren», sagte etwa Michael Sarbach, Kantonsrat der Grünen.

«Wehret den Anfängen», warnte hingegen SVP-Kantonsrat Bruno Dudli, der das Vorhaben als «Salamitaktik in Reinkultur» bezeichnete. Die Regierung verkenne, dass die Verteilung von Privilegien der krönende Abschluss der Integrationsbemühungen sein soll, sagte Dudli. Und sein Parteikollege Pascal Fürer kritisierte:

«Mit dem Ausländerstimmrecht erhalten Fremde Mitbestimmung und Macht, aber keine Pflichten.»

Unterbrochen wurde die engagierte Debatte nach einer Stunde durch einen Ordnungsantrag von FDP-Kantonsrat Thomas Ammann – sehr zum Missfallen von SP-Kantonsrätin Bettina Surber, die sich darüber wunderte, dass der Kantonsrat ausgerechnet bei einer Debatte über demokratische Mitwirkung darauf verzichte, das Thema auszudiskutieren. Am Ausgang konnte dann auch das Schlussvotum von Regierungsrätin Laura Bucher nichts mehr ändern: «Die Regierung hat weder den Kompass noch den Verstand verloren», sagte sie an die Adresse von Sascha Schmid gerichtet. Die Einführung des Ausländerstimmrechts auf kommunaler Ebene sei schlicht eine Frage des gesellschaftlichen Wandels. Zwei Drittel der Kantonsräte sahen dies jedoch anders.