Zum Erstaunen der grünen Motionäre begrüsst die St.Galler Regierung das Ausländerstimmrecht in den Gemeinden. Die SVP weist das Ansinnen scharf zurück und zählt auf bürgerliche Unterstützung. Für die SP hingegen ist die Motion «längst überfällig».
Die Motion der Grünen unter dem Titel «Mehr Demokratie wagen» verspricht nächste Woche im St.Galler Kantonsrat eine lebhafte Diskussion: Das darin geforderte Ausländerstimmrecht auf kommunaler Ebene ist umstritten, wie erste Positionsbezüge der Parteien zeigen. Kaum ein Thema sein dürfte das von den Grünen ebenfalls angestossene kantonale Stimmrecht für Jugendliche ab 16 Jahren, das die Regierung auch aufgrund der laufenden Diskussion auf Bundesebene ablehnt.
Hingegen unterstützt die Regierung ein freiwilliges Ausländerstimmrecht auf Gemeindeebene, wie es die Nachbarkantone Appenzell Ausserrhoden und Graubünden bereits kennen (und wo es von jeweils einem Fünftel der Gemeinden eingeführt wurde). Die Teilhabe an der politischen Mitbestimmung sei «eine wichtige und nachhaltige Integrationsmassnahme» und stärke das Miteinander zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen sowie den Kanton als Ganzes, meint die Regierung. Sie möchte die Motion gutheissen, wenn auch mit Rahmenbedingungen wie einer Mindestaufenthaltsdauer oder einem Bürgerdienst, wie ihn ein Postulat im Bundesparlament zwecks Stärkung des Milizsystems fordert.
SVP empört über Missbrauch des «kostbaren Guts» Stimmrecht
Für die SVP kommt das nicht in Frage. Man sei überrascht, schreiben die SVP-Fraktionschefs Christoph Gull und Sascha Schmid (Vize) in einem Communiqué, dass die Regierung, «zusammengesetzt in der oft genannten bürgerlichen Mehrheit», die Motion der Grünen für ein Ausländerstimmrecht unterstütze. Die SVP lehne dies klar ab und frage sich, «ob die Regierung den Kompass verloren hat». Beim Stimmrecht in der Schweiz handle es sich «um ein sehr kostbares Gut», weil es viel weiter gehe als in anderen Ländern. «Bereits heute können sich gut integrierte Ausländer einbürgern lassen und an den damit zusammenhängenden Rechten und Pflichten teilhaben», meint die SVP. Dabei seien die Anforderungen für Einbürgerungen wiederholt gesenkt worden, etwa für die dritte Ausländergeneration («Terzos») und im Nachtrag zum Gesetz über das St.Galler Bürgerrecht.
«Dass die Regierung das Ziel der sozialen Integration zur Begründung einer Ausweitung des Stimmrechts missbraucht, ist fragwürdig», heisst es weiter. «Die Integration in eine Gesellschaft erfolgt nicht über das Stimmrecht, sondern durch langjährigen Kontakt mit der lokalen Bevölkerung, die Arbeit und die Aneignung der Sprache sowie geltender Gesetze und Sitten. Dies zeigt sich auch in jenen Schweizer Gemeinden, die bereits ein Ausländerstimmrecht kennen und dieses nur von einer kleinen Minderheit wahrgenommen wird.» Nicht zu unterschätzen seien die Sprachbarrieren, meint die SVP: «Wie soll sich ein Ausländer mit schlechten Deutschkenntnissen einen Überblick über komplexe Abstimmungsvorlagen verschaffen?»
Die Mitbestimmungsrechte erst nach erfolgreicher Integration und Einbürgerung zu gewähren, mache auch staatspolitisch Sinn. «Es kann nicht sein, dass Ausländer ohne klare Anforderungen an Aufenthaltsdauer und Sprachkenntnisse stimmberechtigt werden», schreiben Gull und Schmid. «Ersteres gefährdet, dass Entscheidungen im langfristigen Interesse der Gemeinde gefällt werden; Letzteres würde bedeuten, dass auch Personen, welche keine Amtssprache sprechen, stimmberechtigt werden.» Oder, wie es die SVP polemisch zuspitzt: «Es kann nicht das Ziel einer Stimmrechtsrevision sein, dass die Gemeinden letztendlich Abstimmungsunterlagen auf Albanisch, Arabisch und Englisch anbieten müssen.»
Solche Anforderungen wie eine Mindestaufenthaltsdauer – Ausserrhoden schreibt zehn Jahre in der Schweiz und fünf Jahre im Kanton vor – schlägt die Regierung zur Gutheissung der Motion vor. Die SVP will sich darauf aber nicht einlassen, wie Fraktionschef Gull sagt: «Im Moment vertreten wir die grundsätzliche Gegenposition, da gibt es nicht viel Diskussionsspielraum.»
FDP und CVP kritisch, SP glasklar dafür
So klar und geschlossen wie in der SVP dürfte die Ablehnung in den anderen bürgerlichen Parteien nicht sein, doch hat es die Motion bei FDP und CVP schwer. Zwar behandeln beide Fraktionen den Vorstoss erst in der Sitzung am Sessionsmontag. Er gehe nicht davon aus, dass die FDP das Anliegen der Motionäre unterstützen werde, meint FDP-Fraktionssekretär Christoph Graf. «Das deuten auch erste bilaterale Gespräche an. Zudem wurde eine entsprechende Forderung bei der letzten Überarbeitung des Positionspapiers der Partei in einem frühen Stadium verworfen.» Ähnlich klingt es von Seiten der CVP-EVP: «Ohne der Fraktion vorzugreifen, ist die Stimmung eher kritisch gegenüber der Einführung des Ausländerstimmrechts auf Kommunalebene», sagt CVP-EVP-Fraktionssekretär Pius Bürge.
Ganz anders die SP: Sie wird die Motion für das Ausländerstimmrecht laut Fraktionschefin Bettina Surber unterstützen. Den Gemeinden diese Möglichkeit einzuräumen, sei «längst überfällig» und «ein sehr kleiner Schritt in die richtige Richtung»; die SP hoffe auf breite Unterstützung im Rat. «Es ist unbegreiflich, dass Menschen, die hier leben, die hier arbeiten, zum Wohlstande unserer Gesellschaft beitragen und Steuern bezahlen, am Ende nicht einmal auf Gemeindeebene mitbestimmen dürfen», sagt Bettina Surber. Mit der Mitwirkungsmöglichkeit sei es aber noch nicht getan. Die SP werde sich am kommenden Parteitag intensiv mit der Vielfalt unserer Gesellschaft auseinandersetzen, sagt Surber. «Es sollen daraus Forderungen für eine bessere Partizipation von Migrantinnen und Migranten resultieren. Es ist klar: Die effektive Gleichstellung erfolgt über die Einbürgerung. Hier sind die Hürden im Kanton nach Meinung der SP viel zu hoch.»
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